33. Innsbrucker Wochenendgespräche, 2010


ORF Tirol kulturhaus, Lesung 29. Mai 2010
Irène Bourquin, Martin Gülich, Uljana Wolf, Jean-Marc Seiler, Nina Jäckle, Alois Hotschnig

Einführung: Carolina Schutti

Von der Art und Weise, wie man konzentrierte Texte schafft, war die Rede, davon, dass ein Konzentrat unabhängig ist von der Länge eines Textes, ja, man stellte sich wiederholt die Frage, was denn ein Konzentrat eigentlich ist oder sein kann. Ich begrüße Sie, meine Damen und Herren, zu diesem Abend, der die vier intensiven Gesprächshalbtage im Ensemble- proberaum des Tiroler Landestheaters abrundet, beschließt und der zugleich anschließt an die Lesung vom Donnerstag. «Es ist schon erstaunlich, wie viel in so winzigen Texten zu entdecken ist, wie viel kleine Beobachtungen aussagen», so wurde Gisela Holzner vor zwei Tagen in der Tiroler Tageszeitung zitiert, und so ist dieser Leseabend auch eine schöne Gelegenheit, wieder zurückzukommen zum Ausgangspunkt der Diskussionen, zu den Texten selbst.

Irène Bourquin

«Zu malen wären / zwei Baumarchen still / treibend / im bläulichen Nebel / sanftes Pastell / zwischen See / und Nirgendwo». Sieben kurze Verszeilen oder 16 Wörter nur benötigt die Schweizer Autorin Irène Bourquin, um vor unserem inneren Auge ein Gemälde entstehen zu lassen, und nicht nur das: Geräusch, Geruch, der Anflug eines Gefühls, einer Stimmung, wird zeitgleich mittransportiert. Was kann die Literatur, was kann die Lyrik vor allem und wie beeinflussen deren spezifische Merkmale wie Rhythmus, Klang und Verdichtung andere Textgattungen – diese Frage beschäftigt die Autorin, die sowohl in der Lyrik als auch in der Prosa zuhause ist, Gedichte, Kurzprosa, Erzählungen, Theaterstücke, Hörspiele und Chansontexte verfasst hat. Dem Weglassen kommt in ihren Texten eine ebenso große Bedeutung zu wie dem Stehenlassen, wobei es kein Verlust ist, wenn etwas fehlt – im Gegenteil. Wichtig ist zu wissen, was man wo stehen lassen muss, damit der Text zugleich atmen und mit dem Leser in Beziehung treten kann. In ihrem Statement hat sie selbst darauf hingewiesen, dass gerade die «Blindzeilen» eben nicht blind seien, sondern «Raum öffnen, Echoraum».

Irène Bourquin begann in den 1980er Jahren, Lyrik zu verfassen und zu veröffentlichen; seither ist kaum ein Jahr ohne eine oder mehrere Publikationen vergangen. Heute wird sie unter anderem aus ihrem 2007 erschienenen Lyrikband «Angepirscht die Grillen» lesen. Das tragende Thema ist hier die Natur, wobei der Mensch im Hintergrund steht, oder, wie es der Verlagstext formuliert: «Es bleibt der menschliche Standpunkt in der Betrachtung, der Beschreibung und im Schreiben der Landschaft.» Die Geschichten zu den Landschaftsausschnitten entstehen im Kopf des Lesers, und diese sind sehr zeitgemäß, keine durchwegs beschauliche Idylle also, die uns des Nachdenkens enthebt, aber auch kein erhobener Zeigefinger. Vielmehr eine Einladung, aus den wenigen, scharf konturierten, kunstvoll kombinierten Versen etwas eigenes zu machen. Gleichsam zwischen Gedicht und Prosa stehen ihre Texte aus dem 2009 erschienenen Buch «Im Nachtwind». «Siebenundfünfzig gestochen scharfe Erzählungen» verspricht der Untertitel, und tatsächlich sind die Kürzestgeschichten geprägt vom Herausschälen eines Moments, eines Details, das in wenigen Sätzen skizziert wird. Diese Form macht es möglich, dass jeder Text seinen eigenen Ton erhält. So stehen in einigen Texten Klang und Rhythmus im Vordergrund, andere wie «Im Rückspiegel» und «La nonna» zeigen, wie, ich verwende einen Begriff der Autorin, ein «Kurzgeschichten-Konzentrat» funktionieren kann.

Die «Fluchtreden» schließlich, die Irène Bourquin an den Schluss ihrer Lesung stellt, sind eine ganz eigene Textgattung, die die Autorin selbst erklären wird. Ich möchte an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass diese Texte sehr stark in unserer Zeit verankert sind, einen ganz anderen Ton haben als etwa ihre Lyrik, wobei hier auch das komische Element nicht zu kurz kommt – aber hören Sie selbst. Folgen wir Irène Bourquin in ihre «Raumgewebe».

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