Mit erhobenem Paddel Eine Romaneske, zusammen mit Ruth Erat, Caracol Verlag, Reihe Caracol Prosa, Band 1, Warth 2020, 120 Seiten.
Am Institut für Meeresforschung einer renommierten Hochschule prallen sie
aufeinander: Die Bernardi, eine ältere Professorin, anerkannt, aber wenig beliebt,
strikt beharrend auf der Freiheit von Lehre und Forschung – und Chris Fatzer, der
smarte, skrupellos wendige Jungforscher, Sportler und Frauenheld.
Eine schwierige Position hat Sara Winterstein, Privatdozentin, Filmerin und
Greenpeace-Aktivistin, aber mit Chris liiert. Als Moritz auftaucht, ein
eigenwilliger Aussteiger und Ex-Banker, sieht Sara neue Möglichkeiten.
Gleichzeitig behält sie die Chris umkreisenden Doktorandinnen im Auge:
die rothaarige Alina, die Finnin Leonie.
Von den Winkelzügen internationaler Territorialpolitik über das abgeschottete
Reich der Bank-Pinguine und die Verheerungen des Massentourismus bis zu den
kläglichen Kompromissen der Umweltbewussten: Das Schreib-Ping-Pong von Irène
Bourquin und Ruth Erat zeugt von ernsthaftem Engagement, aber auch von
Humor.
Das Buch ist beim Verlag erhältlich.
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Die Bernardi würde eher expandieren als emeritieren, hatte Chris gesagt. Seine
diesbezüglichen Versuchsballone habe sie zwischen Tür und Pult abgeschossen. Sie
sei zäh, da dürfe man sich keine Illusionen machen. Wie eine Manganknolle eben.
Aber korrekt. – Ohne diese ständige Balgerei um Forschungsgelder wäre er natürlich
viel freier, könnte er ideologisch anders agieren …
Sara hatte die Untertöne gehört. Chris war also für Greenpeace nicht verloren.
Man könnte nachhelfen, vorsichtig, unauffällig. Die Professorin auf die Rainbow
Warrior einladen, bei Sturmprognose: nur notfalls.
Kajak – eine Kajakfahrt auf dem See, das war unverdächtig. Was der Bernardi im
Kajak zuzutrauen war und was nicht, glaubte Sara ziemlich genau zu wissen, seit
den Marlborough Sounds. Aber auch auf dem See galt es, die Sache vorsichtig
anzugehen. Nicht gleich beim ersten Mal handgreiflich werden. Vertrauen aufbauen.
Unbelauschte Frauengespräche am frühen Morgen, kurz nach Sonnenaufgang. Und ein
Versuch noch, ein letzter, auf die sanfte Tour.
In Sachen Männer war die Professorin offenbar schon emeritiert. Damals in Neuseeland,
als die Bernardi frühmorgens zum Strand eilte, um Alina zu holen, hatte Sara
gehofft, ihre Rivalinnen würden sich gegenseitig an die Gurgel gehen. Aber die
beiden kamen schweigend zurück. Ohne Kratzer auf den Wangen. Und Chris war dann
am Flughafen plötzlich wieder aufgetaucht [ … ]
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Ich werde also alt, sagte sich Bianca Bernardi, eine etablierte Professorin, alleinstehend, wenig beliebt – streng mit sich und der Welt, unnachsichtig. Immerhin noch in der Lage, im Kajak über den See zu paddeln, auch wieder zurück, immerhin noch keine senile Bettflucht. Den Mittfünfziger, der auch schon unterwegs war, trieb es wohl gewohnheitsmäßig früh aus dem Bett. Einer dieser lästigen Morgenmenschen. Hatte ihr sein Paddelblatt senfgelb entgegengeleuchtet?
Sie nahm die Brille ab, rieb gedankenverloren mit dem Putztuch die Gläser.
Was zum Teufel –
Ach was, sagte sie sich dann, stand auf, ging an den Arbeitstischen vorbei hinaus in den Flur, wartete auf den Automatenkaffee, diese schwarze Brühe, die in den Kartonbecher rann, trank, ohne einzuatmen, dieses verachtete laue Zeug. Wieder an ihrem Pult, zeichnete sie vom Poster an der Wand ein Linienmuster ab. Rauch, Röhren, Knollen. Deep ocean. Die tiefe Biosphäre. Die ewige Dunkelheit. Auf dem Poster glühen Manganknollen aus ihrem Inneren heraus, steigt aus Schloten heißes Gift. Darum herum riesige Röhrenwürmer. In ihnen Bakterien. Die verzehren den Schwefel. Energie aus Sulfid-Oxidationen, die Chemosynthese. [ … ]
Den Plot für «Mit erhobenem Paddel» hätten sie bewusst nicht
abgesprochen, sagt Irène Bourquin. «Das Weiterschreiben hatte
etwas von Ping-Pong. Keine von uns konnte wissen, in welche Ecke
der nächste Ball fliegen würde. Das hat mich auch deshalb
gereizt, weil ich sehr gerne echtes Tischtennis spiele. Meist
habe ich sofort ‹den Ball zurückgeschrieben›.» Immerhin über das
Ziel hatten sie sich vorab geeinigt: Sie wollten ökologische
Themen in eine unterhaltsame Story verpacken.
Das bedeutete im konkreten Fall, dass sie sich mit aktuellen
naturwissenschaftlichen Fragestellungen auseinandersetzen
mussten. «Ich habe mich in die Tiefseeforschung gestürzt»,
erzählt Erat.
[ … ]
Der Roman mag ja vielleicht tot sein, wenn man nach Roland Barthes
oder Tom Wolfe geht, aber die Romaneske ist quicklebendig. Ruth Erat
und Irène Bourquin haben ihr gemeinsames Schreibprojekt als
Satire-Spass begonnen und sind immer weiter in Richtung des Romans mit
ernstem Hintergrund hineingeraten.
Ein amüsantes Spiel, nennt es Erat im Rückblick. Die der
Geschichte zugrundeliegende Frage nach der Verantwortung von
Forschung und der Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie aber
hat nichts Verspieltes.
Inka Grabowsky in: thurgaukultur.ch, 9.12.2021
«Mit viel Witz, aber auch profundem Wissen über die Meeresforschung treiben die beiden Autorinnen im Schreib-Ping-Pong die Geschichte vor sich her. Sie entfaltet sich wie eine Fahne, die im Wind flattert und uns eine Brise Meeresluft atmen lässt, inbegriffen Greenpeace, verkörpert durch Sara Winterstein, die zu viel weiss, das Wissen aber nicht immer einordnen kann und dazu noch über ihre Gefühle stolpert. Ein aktuelles wie auch köstlich zu lesendes Stück Literatur!»
Ruth Loosli in: Kulturmagazin Coucou, November 2020
Die beiden Autorinnen nennen das Buch eine Romaneske, weil es von
allem etwas drin hat: Roman, Satire, Krimi. [ … ]
Die Fakten im Buch sind fundiert recherchiert. Ruth Erat hat sich bereits in ihrem
letzten Buch intensiv mit der Meeresbiologie auseinandergesetzt und Fachliteratur
dazu studiert. [ … ] Die grösste Herausforderung war aber nicht die
Aneignung der wissenschaftlichen Grundlagen, sondern die Darstellung des inneren
Konflikts der Figuren oder wie Ruth Erat es ausdrückt: «Die Gesamtverantwortung als
Mensch in einer Welt mit beschränkten Ressourcen zu leben, aber auch ein Individuum
zu sein, das Lust am Leben hat, Träume und Karrierewünsche.»
Kim Berenice Geser in: felix. die zeitung., 9.10.2020