Patmos – Texte aus der Ägäis


Patmos – Texte aus der Ägäis, Waldgut Verlag, Bodoni Druck 67, Frauenfeld 2001, 48 Seiten, Handpressendruck dreifarbig, 450 Exemplare, signiert und nummeriert.

Patmos, die «Insel des Evangelisten Johannes» ist berühmt: früher als Verbannungsort für Geistesgegner der römischen Staatsmacht, dann als byzantinischer Stützpunkt im Westen des Reiches. Heute, als Teil Griechenlands, ist Patmos eine Ferieninsel für Westler geworden. Irène Bourquin schreibt nicht als Touristin und nicht als unkritische Griechenlandamateurin. Die Autorin setzt ihre Kenntnis des Eilands und einen klaren Blick ein für die Suche und Entwicklung von sprachlichen Edelsteinen. Ihre Prosa und Verse entstehen nicht aus einfacher Hingabe an eine andere Welt, sondern als reduzierende, gestaltende Arbeit am eigenen Tatort. Sie verwandelt den Wind in Sprache wie die Ägäis, die Felsen, die Menschen – Einheimische und Touristen. Ihre Bilder haben starke Konturen und kreative Kerne. Die Gedichte sind Wind-Einfänger und -Bewahrer, die Prosastücke nachhaltige Vergrösserungen aus dem Insel-Alltag.

Beat Brechbühl

Das Buch ist bei der Autorin noch erhältlich.

Atemstoss
des Windes
dieses Eiland
felsenkahl
aufrührerisch
raschelt das Schilf
am Strand
geduckte Tamarisken
weisen mit grünen
Fingern aufs Meer –
fliessende Muster
im Blau
mit Einschüssen weiss

Titelbild des Buches

Klostergeruch
Bienenwachs
Weihrauch und Seife
Putzwedel trocknend
im Gebüsch
schattige grüne Höhlen
Blumenpracht
paradiesisch

Uralte Nonnen
schlurfen schwarz
über den Hof –
im Dämmer der Kirche
leuchtet es auf


Das rechts stehende Gedicht wurde von Monique Laederach für die Website culturactif.ch ins Französische übersetzt.
http://www.culturactif.ch/poesie/bourquin.htm

Rezensionen

In ihrem Buch «Patmos – Texte aus der Ägäis» fügt die Autorin zwischen ihrer Ankunft und Abreise Gedichte und knappe Notizen zu einer Ruheinsel. Sie sammelt Farben und Gerüche und Geriesel und Gesumm, sie hält Zwiesprache mit sich, mit Mönch, Bauer, Sänger, Tier. Alles in ruhig gleichmütiger Gebärde, die sich den Schönheiten nicht aufdrängt, die Abstand hält, respektvoll. Und immer wieder die Klöster – abseits gelegen in leerer Landschaft, die Mauern des Johannesklosters aus dem 13. Jahrhundert, uralter, steiniger Geruch, Mönche, Popen, Nonnen. Wie wenn der Wind ein Bild ums andere mit sich brächte und wieder forttrüge, fächern die Texte die Motive auf und zu.

Silvia Hess in: Mittellandzeitung, 2. 3. 2002

Den Zugang zur griechischen Inselwelt hat mir kein Grieche, sondern neu Irène Bourquin, eine Schweizerin, verschafft. [ … ]
Im Erfassen dessen, was «Patmos» sei, durchmischt Irène Bourquin geschichtliches Bewusstsein mit dem modernen Leben der Inselbewohner, mit touristisch eben erst Erschlossenem. In ihrer Dichtung erbringt sie, was der Holländer Nooteboom fordert: Wesentliches in knapper Form zu sagen und das Gedicht praktisch «als Ding» entstehen zu lassen: «Glockenspiel / der Ziegen / Weidegang / im Morgengold / mit gebundnen Beinen». Den lyrischen sind Kurz- und Kürzesttexte in Prosa beigeordnet. Sie zeigen Ansichten vom patmischen Alltag wie durch ein Vergrösserungsglas.

Fred Kurer in: St. Galler Tagblatt, 28. 1. 2002

Bezogen auf Gehalt, poetischen Reiz, Makellosigkeit des sprachlichen Ausdrucks bieten diese «Texte aus der Ägäis» ein erfreuliches, zu wiederholter Lektüre einladendes Leseerlebnis. [ … ] Irène Bourquins neue Sammlung setzt sich aus dem Eingangsstück «Patmos – Ein Mosaik», 22 Gedichten und 14 Prosatexten zusammen. Dass Verse und Prosa sowohl inhaltlich als auch formal recht unterschiedlich sind, erzeugt reizvolle Kontraste und trägt zu Vielfalt und Buntheit der Sammlung nicht unwesentlich bei.
Die Prosatexte erschliessen Welt, berühren den Strom des Gegenwärtigen; die ins Bild tretenden Gestalten – Touristen, Einheimische, ein Mönch – werden mit feinem, treffsicherem Federstrich erfasst. Bisweilen ruht ein fragender Blick auf jenen Fremden, die ihre Unrast und Ungeduld auf das Eiland mitbringen und dabei selbst die Klöster, diese «Paradiesgärten im Hier und Jetzt» nicht verschonen. Doch in eine noch so heillose Gegenwart ragen mitunter Bilder des Urweltlichen: «Eine riesige weisse Kaktusblüte mit unzähligen langen, gelben Staubfäden, schwankend im Nachtwind.»
Spiegeln sich in den Prosatexten bisweilen die vielfältigen, verwirrenden Erscheinungen von Welt und Zeit, so weisen die Gedichte nicht selten auf die Übergänge zum Metaphysischen, zur unzerstörbaren Wirklichkeit. [ … ] Es finden sich Verse von aufrauschender Lebensintensität und andere, in denen ebenso intensiv wahrgenommene Bewegungslosigkeit sich auszudrücken scheint. [ … ] Der Dichterin gelingen kraftvolle, ausdrucksstarke Bilder («Sturmwind / schlägt die Bäume zu Schaum» oder «am Horizont / kaut / ein Bagger») ebenso wie solche von traumhaft zarter Lebensleichtigkeit: «Inseln schwimmen / in den Himmel».

Hanns Schaub in: Der Landbote, 21. 12. 2001